Volle Fahrt ins Nichts
Wieso uns Rechtspopulisten nicht retten werden

Die rechtspopulistischen Parteien sind für „Patrioten“ von Relevanz, weil sie die einzigen, politisch bedeutsamen Akteure im Westen sind, die sich gegen Einwanderung aussprechen. Das bedeutet noch nicht, dass alle Rechtspopulisten grundsätzlich gegen Einwanderung wären. So richtete sich die Kritik in der letzten Zeit vor allem gegen illegale Einwanderung. In weiten Teilen entspricht der politische Forderungskatalog der Rechtspopulisten ohnehin dem, was vor einigen Jahren noch unter sozialdemokratischen und christlich-bürgerlichen Parteien relativer Konsens war.

Etwa:

  • Rechtsstaatlichkeit, vor allem hinsichtlich Einhaltung der migrationsrelevanten Rechtsnormen und Grenzschutz
  • Bekämpfung von antiliberalen Bewegungen, vorrangig Islam bzw. Islamismus, Antisemitismus etc.
  • Integrationsmaßnahmen für Migranten wie Sprachkurse etc.
  • Kampf um Gleichberechtigung von Frauen durch „Kopftuch- und Burkaverbote“, Wertekurse für Migranten etc.
  • Pazifizierung der Gesellschaft durch Stärkung des Gewaltmonopols, mehr Rechte für die Exekutive, Terrorismusbekämpfung, gewaltfreie Konfliktlösung, schärfere Strafen für Gewalttäter etc.
  • Kampf um Religionsfreiheit, vor allem für Christen und Juden in Verbindung mit dem Dominanzverhalten von Muslimen
  • Familienförderung durch finanzielle Unterstützung für Kinder etc.
  • Schutz der heimischen Kultur per Sprachquoten oder Förderung von Folklore

Darüberhinaus bestehen die Forderungen oft aus:

  • Wirtschaftsliberalismus und Eigenverantwortlichkeit der Bürger
  • teils sozialdemokratisch inspirierter Sozialpolitik oder das Gegenteil davon, um Migranten von sozialpolitischen Maßnahmen auszunehmen
  • Einsatz für die Freuden und Freiheiten des „kleinen Mannes“ (gegen Rauchverbote, Einsatz für Autofahrer/Individualverkehr, Einsatz für Tierhalter und gegen Tierquälerei im Privatbereich, Einsatz für bestimmte Branchen wie Gastronomie, Taxiunternehmer etc.)
  • udgl.

Reaktionäre des Liberalismus

Der Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, gegen antiliberale Tendenzen, für die Gleichberechtigung von Frauen, für Religionsfreiheit oder Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse sind Forderungen, die bei Rechtspopulisten gegen Migration oder Aspekte der Migration in Stellung gebracht werden. Letztlich sind es jedoch, vom Kontext abstrahiert betrachtet, urliberale Forderungen, die ursprünglich eher von linksliberaler Seite (als Avantgarde des Liberalismus) erhoben und später von christlich-bürgerlicher Seite mitgetragen wurden. Keiner dieser liberalen Aspekte befördert irgendwie die Identität der einheimischen Bevölkerung oder ist gegen Migration gerichtet. Diese Maßnahmen sind bloß dazu geeignet, die Aufnahme der (meist nicht liberalen) Migranten in das westlich-liberale Wertegefüge zu verbessern.

Und dort, wo Maßnahmen Migration verringern sollen, etwa durch Rückbau der Sozialsysteme, lässt sich nicht zwischen eingebürgerten Migranten und einheimischer Bevölkerung differenzieren. Die Förderung der eigenen Wählerschaft durch Sozialpolitik, bspw. mittels Familienförderung, ist nicht ohne das Befördern von migrantischen Familien (und zwar noch mehr aufgrund höherer Fertilität) möglich. Dieser Widerspruch lässt sich vor dem Gleichheitsgrundsatz (Egalitarismus) des Liberalismus nicht auflösen.

Was heißt das? Der liberale Staat kennt keine ethnokulturelle Identität seiner Bürger. Keine westliche Nation von Relevanz hat die Verteidigung der ethnokulturellen Identität zum Inhalt einer Verfassungsurkunde. Der liberale Staat verhält sich im besten Fall neutral zu den Identitäten seiner Bürger, im schlechtesten Fall versucht er sie zu überwinden. Rechtspopulisten hingegen träumen von einem „Liberalismus ohne Ausländer“, wie es ihn vielleicht in den ersten ein bis drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit gab.

Bei Donald Trump als einem der jüngsten Vertreter des Rechtspopulismus zeigt sich das Phänomen praktisch. Er hat die Nachkriegsjahre der Eisenhower-Ära als positive Referenz bewusst oder unbewusst vor Augen. Und die österreichische FPÖ bezieht sich gerne positiv auf die 1970er-Jahre unter dem SPÖ-Bundeskanzler Kreisky. Denn ab den 1980er-Jahren begann der Abschwung und die ersten Erosionserscheinungen der liberalen, westlichen Gesellschaften wurden sichtbar. Die ehemaligen Gastarbeiter sind sesshaft geworden, die Migrantenströme wurden nicht eingedämmt und die letzten konservativen Wertebestände aus vor- und frühliberalen Zeiten waren im Gefolge der 68er-Revolte aufgezehrt. Armin Mohler führt es grundsätzlicher aus:

„Das eigentliche politische Problem des Liberalismus ist, dass eine liberale Praxis nur möglich ist, wenn gewisse Traditionsbestände an Gewohnheiten und tief eingerasteten Sitten noch vorhanden sind, mit deren Hilfe die Gesellschaft ihre Schwierigkeiten meistert. Salopp gesprochen: sechs konservative Jahrhunderte erlauben es zwei Generationen, liberal zu sein, ohne Unfug anzurichten. Sind aber jene Bestände in der permissiven Gesellschaft einmal aufgezehrt, so werden die bestgemeinten liberalen Parolen zu Feuerlunten.“


— 

Armin Mohler: Gegen die Liberalen, Edition Antaios, 2013, S. 11.

Und weil Rechtspopulisten in diese Zeit gewissermaßen zurückwollen, hat die Linke ihr Wählerpotenzial nicht zu unrecht als „Modernisierungsverlierer“ geschmäht. Was Rechtspopulisten nicht sehen: Dass die kulturelle Misere des Westens, wie sie von der Nouvelle Droite analysiert wurde, ursächlich mit dem Liberalismus verknüpft ist (Vgl. Alain de Benoist: Der Liberalismus, der Hauptfeind. In: Aufstand der Kulturen, JF Edition, 2011, S. 17 ff.) – aber dazu an anderer Stelle mehr. Es wird daher nie wieder einen „Liberalismus ohne Ausländer“ geben. Die Nachkriegsjahre waren dahingehend bloß ein Durchgangsstadium, ein Relikt, keine systemische Option. Jene Zeiten, auf die Rechtspopulisten rekurrieren, kommen nie wieder. Dafür gibt es Gründe, aber auch das soll uns hier nicht weiter beschäftigen; ganz abgesehen davon, dass es generell unmöglich ist, in einen beliebigen Zeitpunkt der Geschichte zurückzukehren um dort eine andere Abzweigung zu nehmen. Diese Auffassung geht davon aus, dass eine Fehlentscheidung in der Geschichte vorliegt und man bloß zu einem Zeitpunkt ungünstig abgebogen ist. Rechtspopulisten sind daher so etwas wie die „Reaktionäre des Liberalismus“.

Die Rechtspopulisten als „Reaktionäre des Liberalismus“ sind also jenen christlich-bürgerlichen „Konservativen, die immer verlieren“, nicht unähnlich (Vgl. Alex Kurtagić: Warum Konservative immer verlieren, Verlag Antaios, 2013). Letztere hinken den Linksliberalen als gesellschaftlichen Taktgebern stets um ein paar Jahre hinterher, um letztlich nachzuziehen (Homo-Ehe, Feminismus, Migration etc.). Sie stehen bloß auf der Bremse. Rechtspopulisten stehen noch stärker auf der Bremse, wollen die Fahrt des Liberalismus verlangsamen oder versuchen eine liberalistische Schubumkehr, die ihnen aber in der Praxis auch nach Jahrzehnten noch nirgendwo geglückt ist. Tatsächlich leisten sie dem Liberalismus in manchen Bereichen eher noch Vorschub, weil man meint, ihn gegen antiliberale Migranten (Islam) in Stellung bringen zu können.

Der nüchterne Blick

Wieso also werden uns Rechtspopulisten nicht retten? Einige Aspekte, derer es wohl noch mehr gibt:

  1. Rechtspopulisten haben kein Bewusstsein für die Tiefe der Problematik und die Notwendigkeit einer massiven gesellschaftlichen Transformation.
  2. Rechtspopulisten halten Metapolitik für bedeutungslos. Aus ihrer Sicht ist die Misere strikt staatspolitisch, also per Legislative und Exekutive zu lösen (was unter Berücksichtigung von Pt. 1 nachvollziehbar ist).
  3. Rechtspopulisten verfügen über keine parlamentarischen Mehrheiten oder Alleinregierungen – weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart und wohl auch nicht in Zukunft. Sie sind stets in Opposition oder auf nicht rechtspopulistische Koalitionspartner angewiesen.
  4. Das institutionelle Korsett des Spätliberalismus verengt den faktischen Handlungsspielraum der Politik soweit, dass tiefgreifende Änderungen nicht möglich sind.
  5. Rechtspopulisten bieten keine großen Ideen zur Problemlösung, weil ihnen ein positiver Gegenentwurf jenseits von „Liberalismus ohne Ausländer“ fehlt (was mit Pt. 1 und 2 eng verknüpft ist).
  6. Rechtspopulisten sind, selbst wo sie Veränderungen bewirken, objektiv zu langsam. Wenn man die Entwicklung des Rechtspopulismus und der Demographie der letzten Jahrzehnte kritisch ins Verhältnis setzt, lässt sich leicht abschätzen, dass der Ansatz allein aus Zeitmangel (unter Auslassung der Pte. 1–5) unmöglich ist.

Was bedeutet das alles im Detail? Was das Bewusstsein für die Problemlage betrifft, so wird, wie eingangs angesprochen, Einwanderung und Ausländerproblematik von Rechtspopulisten als praktisches Problem begriffen, dem mit praktischen Lösungen (Exekutive, Legislative) beizukommen ist. Dass die Problemkette, ausgehend von Ausländerkriminalität und dominantem Auftreten des Islams in Europa, viel tiefer reicht, wird nicht oder nur ungenügend wahrgenommen. Das Bewusstsein beginnt etwa bei Kriminalität durch Migranten, der islamischen Raumnahme und unzureichendem Grenzschutz und geht im besten Fall bis zur Thematisierung des Großen Austauschs (unter verschiedenen Bezeichnungen). Die Begabteren unter ihnen wissen dann noch, dass die politische Linke und die 68er-Bewegung eine wesentliche Rolle gespielt haben, was nicht selten zu einer Engführung der Analyse beiträgt. Unthematisiert bleibt etwa die (liberalistische) Industrie, die stets ungebrochen Einwanderung begehrt, weil sie unter liberalen Prämissen darauf angewiesen ist, oder die fehlende Rückbesinnung auf starke Geschlechteridentitäten als Konsequenz (und nicht als Facette von Sonntagsreden). Und dass vielleicht der Liberalismus überhaupt ein politisches Problem ist, weil Individualismus, Egalitarismus und Universalismus unsere Identitäten auflösen, so weit denkt in diesen Kreisen fast niemand.

Zum Bewusstsein für Metapolitik reicht es nicht, weil Rechtspopulisten völlig auf Partei und staatliche Institutionen als Werkzeuge ihrer Politik fixiert sind: Mehrheiten in der Legislative, Besetzung von Exekutiven und, außerhalb dessen, Parteiarbeit oder Mitwirkung in unmittelbaren Vorfeldorganisationen. Eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation ist jedoch nicht per Gesetz möglich. Und selbst die Vorfeldorganisationen haben in aller Regel keine andere Aufgabe als der Tagespolitik zuzuarbeiten. Derart sind rechtspopulistische Jugendorganisationen keine rebellische Avantgarde, die die Mutterparteien vor sich hertreiben, sondern Karriereschmieden. Parteinahe Bildungsinstitute reduzieren sich meist auf die Vermittlung des tagespolitischen Handwerks. Die übrigen Vorfeldorganisationen sind nicht selten Geselligkeitsvereine, die kaum eine andere Aufgabe als die Identifikation mit der Partei erfüllen. Rechtspopulistische Bewegungen verfügen in der Regel über keine Vordenker, kein intellektuelles Umfeld oder über interne positive Kritik (die AfD ist hier teilweise ein Sonderfall). „Gesellschaftspolitik“ wird meist scheel beäugt. Sie gilt kurzsichtigerweise als Charakteristikum der politischen Linken. In der Praxis argumentiert man mit der „liberalen Subjektspaltung“: das „Private“ soll nicht politisch sein, der Bürger als „Privatmensch“ (im Unterschied zur Sphäre der Politik), Institutionen entpolitisieren etc.

Ein metapolitisches Bewusstsein wäre hingegen das Wissen um eine Problemlage, deren angemessene Lösungsansätze weit über die rein staatsförmige, parteiförmige Politik hinausgehen. Zwar strahlt auch Politik metapolitisch aus, aber die Intensität ist (zu) gering und es hieße das Pferd von hinten aufzuzäumen. Vielmehr müsste ein einschlägiges politisch-kulturelles Milieu außerhalb der Partei gefördert, zumindest begünstigt und nicht bekämpft werden. Das ist entweder gar nicht oder spätestens ab Regierungseintritt und Angewiesenheit auf Koalitionspartner nicht mehr der Fall. Österreich ist in Sachen Rechtspopulismus immer Vorreiter gewesen und wohl auch bei diesem Detail.

Rechtspopulisten brauchen Koalitionspartner. Egal auf welcher Ebene, nirgendwo im Westen haben rechtspopulistische Parteien eine Mehrheit. Das heißt, selbst wenn Rechtspopulisten ein Bewußtsein für die Tragweite der Problematik und die Notwendigkeit von Metapolitik hätten, könnten sie nicht einfach in ihrem Bereich der Legislative und Exekutive „durchregieren“. Und noch schlimmer: Es gibt auch keinerlei Trend dazu, dass Rechtspopulisten irgendwo im Westen Alleinregierungen stellen könnten. Donald Trump bildet nur auf den ersten Blick eine Ausnahme, denn er hat sogar mit der eigenen Partei, dem Deep State und einem mittlerweile „demokratisch“ besetzten Parlament zu kämpfen. Ein metapolitisches Umfeld von rechtspopulistischen Parteien muss mit ständigem Beschuss durch die linksliberale Medienfront rechnen. Auch das war zuletzt in Österreich sichtbar. Das führt zu Spannungen in Koalitionen und muss zu einem Bruch bei einer von drei Sollbruchstellen führen: Bruch der Koalition, Bruch in der Partei oder Bruch zwischen Partei und Umfeld.

  1. Ein Koalitionsbruch aus Loyalität gegenüber einem metapolitischen Umfeld ist unwahrscheinlich, weil es das Aus für Posten, Einfluss und vielleicht sogar das wirtschaftliche Aus für manchen Rechtspopulisten bedeutet.
  2. Aber selbst wenn die Kräfte so stark wären, die Koalition zu halten, ist ein Bruch innerhalb der Partei in kompromissbereite Regierende und radikale Oppositionelle die nächstrealistische Variante. Da das eine Katastrophe für die Partei und damit für sämtliche Fraktionen innerhalb der Partei wäre, ist sie unwahrscheinlicher als die dritte Variante.
  3. Der Bruch zwischen Partei und einem Umfeld, dessen Zweck der gemeine Parteipolitiker ohnehin nie wirklich verstanden hat, ist der wahrscheinlichste. Das ist aus strenger Parteisicht am leichtesten verkraftbar und dieser Fall ist jüngst in Österreich eingetreten.

Der westliche Liberalismus weist ein enges institutionelles Korsett für politische Akteure auf. Das heißt, neben dem Koalitionspartner gibt es noch zahlreiche Institutionen, die Grenzen vorgeben. Bei den supranationalen und internationalen Institutionen ist für Europa vor allem die EU zu nennen, teilweise auch die UN oder die NATO. Sie alle bauen im Falle des Falles massiven Druck auf (siehe Visegrad-Staaten). Verfassungsgesetze, insbesondere die Menschenrechtsurkunden (EMRK), verunmöglichen notwendige Änderungen. Einfache Gesetze, die zu weit ausscheren, werden von immer politischeren Höchstgerichten „kassiert“. Des weiteren besteht eine über die Jahrzehnte angewachsene Rechtsprechung linksliberaler Prägung. Verfassung und Rechtsprechung sind daher rechtlich oder aufgrund mangelnder Mehrheit oder Bereitschaft von Koalitionspartnern nicht korrigierbar.

Und vergessen wir nicht das übrige liberale Personal in den Apparaten (öffentliche Verwaltung, Bildungsbereich etc.). Dieser liberale Deep State hat sich ebenfalls über Jahrzehnte festgesetzt, egal ob bei Trump in den USA oder in Österreich in Form des rot-schwarzen Proporzes, der alle Institutionen durchdringt. Die öffentlichen Debatten in der BRD und Österreich über die Verfassungsschutzorgane zeigen es eindrücklich. Letztlich wird die Freiheit der politischen Debatte durch eine in den letzten Jahren massiv ausgebaute Strafgesetzgebung für Meinungsdelikte eingeschränkt (bspw. NetzDG oder Ausweitung der Verhetzung/Volksverhetzung). Und was der Strafrichter nicht besorgen kann, erledigt die vierte Gewalt im Staate: die Einheitsfront der großen Medien, wo es natürlich keinen einzigen Akteur gibt, der eine tiefgreifende Gesellschaftstransformation wohlwollend begleiten würde. Ganz im Gegenteil: Die Medien bilden das Sperrfeuer gegen jede notwendige Kursänderung. Und die (Unterhaltungs-)industrie als weitere metapolitische Stütze ist hier noch gar nicht erwähnt worden. Kurzum: Der Handlungskorridor von rechtspopulistischen Parteien, als Gesetzgeber oder in Regierungen, ist im Spätliberalismus institutionell derart eingeschränkt, dass selbst wenn alle zuvor genannten Problempunkte nicht existieren würden, eine notwendige, radikale Korrektur ausgeschlossen ist.

Was bleibt

Rechtspopulisten stehen stärker auf der Bremse der liberalen Fortschrittsdoktrin als christliche Bürgerliche, die „Konservativen, die immer verlieren“ (Kurtagić). Die rechtspopulistischen Reformansätze, so es sie gibt, wirken folglich auch nur verlangsamend auf den auflösenden Gesamtprozess. Rechtspopulisten können aber wie alle Reaktionäre und trotz ihrer (impliziten) Hoffnung die Entwicklung nicht umkehren. Die stärksten Bremsen unter den liberal verfassten Nationen haben die Visegrad-Staaten oder andere osteuropäische Länder außerhalb der EU. Sie haben jedoch kein Konzept wie sie aktiv, die Probleme der Spätmoderne bzw. des Liberalismus lösen wollen. Sie haben kein gegenkulturelles Angebot, das über reaktionäre Ideen hinausweist. Sie werden fast unpolitisch, wenn sie sich bloß in ihre nationalstaatlichen Bunker zurückziehen (typisch für Polen oder die Slowakei). Ihnen fehlt der dynamische Gegenentwurf und sie haben auch nicht ansatzweise das Instrumentarium einen solchen bis in den letzten Winkel des Westens (und darüber hinaus) zu propagieren, wie es der Hauptfeind (immer noch) schafft.

Die Ineinssetzung unserer Identität mit dem liberalen Staat, etwa die BRD als Land der Deutschen, führt unweigerlich zu Enttäuschungen und bestenfalls zu der Erkenntnis, dass dieser unsere Identität weder verteidigt noch anerkennt, ja mitunter sogar vernichtet. Keine westliche Verfassung kennt einen dezidiert identitären Grundkonsens und es gibt auch keinen Trend dazu. Ein solcher wäre auch nicht mit dem Selbstverständnis des Liberalismus (Universalismus, Egalitarismus, Individualismus) vereinbar. In diesem Punkt ist der Linken rechtzugeben! Rechtspopulisten glauben jedoch, dass Liberalismus nur „rechts“ orientiert sein müsste, um das Problem zu lösen, was einer unzureichenden Analyse geschuldet ist (Benoist: Liberalismus als Hauptfeind). Und Mehrheiten für Verfassungsänderungen jenseits des Liberalismus sind weit von jeder Realität entfernt. Die letzte Option, wonach der liberale Staat systemisch bedingt und in absehbarer Zeit zusammenbricht, ist unrealistisch. Die diesbezügliche Frustration der Linken seit ihrer Existenz sollte auch Reaktionären zu denken geben. Dazu wäre an anderer Stelle noch einiges zu sagen.

Rechtspopulismus – uneigentlich oder gar nicht

Aber wenn uns Rechtspopulisten nicht retten können, sollte man sie nicht wenigstens unterstützen? Die Asylkrise 2015 hat nicht wenige Europäer an der Handlungsfähigkeit wie auch am Handlungswillen der liberalen Politik zweifeln lassen und das Bewusstsein für Identitätsfragen geschärft. Sehr gut! Sobald aber die Akutphase überwunden war, ist das Bewusstsein in kürzester Zeit geschwunden (nicht verschwunden). Rechtspopulisten und teils christlich-liberale Parteien haben sich als Rettungsanker angeboten und die Verantwortlichen unter (letztlich bescheidenen) Zugzwang gesetzt. Mit der neuerlichen Verlangsamung der „Ersetzungsmigration“ lässt das diesbezügliche Bewusstsein nach. Und es erleichtert den Befürwortern die rhetorische Verschleierung, die Leugnung oder Umetikettierung der Vorgänge. Sehr schlecht! Es liegt offenbar in der Natur der Sache, dass Menschen über lange Zeiträume an vieles gewöhnt werden können. Abrupte Veränderungen regen hingegen eher noch zum Nachdenken an oder fordern gar Widerstand heraus.

Rechtspopulistische Maßnahmen lösen die Problematik nicht ursächlich, aber sie hemmen die Widerstandsbereitschaft der heimischen Bevölkerung durch Verlangsamung eines Prozesses und durch den Glauben liberale Politik könne Migration rückgängig machen oder stoppen. Wenn man dieser Beobachtung folgt ist zu fragen ob die Unterstützung von Rechtspopulisten nicht nur sinnlos, sondern wahrscheinlich sogar schädlich ist, solange diese nicht etwas Uneigentliches bewerkstelligt, nämlich Räume für Metapolitik zu eröffnen! Rechtspopulisten binden Ressourcen an eine Hoffnung, die, wie aufgezeigt wurde, nicht einlösbar ist. Sie machen Vorgänge durch Verlangsamung, wenn auch nicht gewollt, akzeptabel. Eröffnet die Verlangsamung metapolitische Handlungskorridore, ist sie zu befürworten. Tut sie das nicht, besteht dringendes Interesse an der Absetzung derartiger Beruhigungspillen.

Zur echten Alternative

Die Nouvelle Droite unterscheidet sich grundsätzlich von Rechtspopulisten und (anderen) Reaktionären und bietet uns Bausteine für eine echte Alternative. Sie fordert keine Rückkehr zu einer Zeit vor 1980 (Reaktionäre des Liberalismus), vor 1945 (Reaktionäre des Faschismus) oder vor 1789 (echte Reaktionäre von „Thron und Altar“). Das sollten wir nicht vergessen. Die Nouvelle Droite verarbeitet die Erfahrungen der politischen Moderne, die zu benennende Ursachen und Voraussetzungen hat und nicht bloß als Betriebsunfall der Geschichte abgetan werden kann. Die Moderne ist nur mit den Erfahrungen der Moderne zu überwinden, nicht durch eine völlig unmögliche Rückkehr in eine früh- oder vormoderne Ära. Die nun notwendige, tiefgreifende Veränderung kommt nicht genuin aus der politischen, sondern aus der kulturellen, metapolitischen Sphäre. Eine solche Gegenaufklärung oder Gegenkultur bedarf, im Unterschied zum liberalistischen Eklektizismus der Rechtspopulisten, einer geistigen Vorbereitung zu einem neuen europäischen Mythos, der uns an unsere älteste Vergangenheit rückbindet und uns mit unserer Zukunft versöhnt. Nichts weniger als ein solcher Versuch um eine europäische Wiedergeburt ist unsere Aufgabe und der wohl chancenreichste Ausgang aus der politischen Moderne.

6519.05.26